Von Katja Schlangen
Deutsche Übersetzung Sofia González
Fotos ©Katja Schlangen
Am Schiffsbauerdamm 42 treffen Berliner Journalisten und Politiker des Landes regelmäßig aufeinander. Das ist Demokratie in Reinform. Denn in Europa ist die Bundespressekonferenz eine einmalige Institution. Unabhängigkeit im Journalismus und ein regelmäßiger Informationsaustausch waren die Beweggründe für die Schaffung des Presseverbandes im Jahre 1949. Heute zählt er über 900 Mitglieder. Drei mal die Woche stellen sich die Pressesprecher der Bundesregierung vor der blauen Wand den Fragen der Journalisten. Ein chaotisches Gegeneinander auf dem Spielfeld der Journalisten? Ganz im Gegenteil!
Die letzten Konferenzen des Jahres 2013 – die Stimmung kurz vor dem Zusammentreffen ist entspannt, um nicht zu sagen schläfrig. Auf dem Podium plaudern die Pressesprecher untereinander, bereiten ihre Unterlagen vor oder genehmigen sich ein Glas Wasser. Ihnen gegenüber tröpfeln nach und nach Grüppchen von Journalisten durch die Eingangstür. Aufnahmegeräte werden bereit gelegt, die jüngeren Semester positionieren ihre Laptops, die ältere Generation rüstet sich mit Notizblöcken und Kugelschreiber. Viele Sitzplätze bleiben leer und bilden große Lücken zwischen den Journalisten, die sich über den ganzen Raum verstreut haben. Vielleicht ein unbewusster Hinweis auf die eigene Unabhängigkeit und die gegenseitige Konkurrenz?
Die Konferenz selbst könnte nicht weniger spektakulär sein. Es bietet sich ein Schauspiel, weit entfernt von den in Filmen generierten Szenarien eines hitzigen, debattierwütigen Schlagabtausches – weder gibt es einen Ansturm ungehobelter Fragen seitens der Journalisten, noch ersticken die Regierungssprecher mit einem ewigen „kein Kommentar“ die fließende Kommunikation.
Der Umgang der beiden “Fronten“ miteinander ist höflich, ruhig und strikt nach Plan. Es herrscht eine aufmerksame, aber gelöste Stimmung.
„Es ist nicht immer angenehm“: Die Besonderheit der Bundespressekonferenz
Im Hause der Bundespressekonferenz sind die Journalisten zuhause. Das ist das wohl entscheidendste Merkmal, dass diese Institution von anderen Pressesitzungen unterscheidet. Die Journalisten haben dort ihr individuelles Regelwerk aufgestellt. Die Politiker und ihre Pressesprecher sind immer nur Besucher und müssen sich dementsprechend den Gewohnheiten der Hausherren anpassen. Für den stellvertretenden Pressesprecher der Bundeskanzlerin, Georg Streiter, gestaltet sich dieser Rollentausch nicht immer ganz einfach. Regelmäßig begibt er sich auf das Spielfeld der Journalisten, in ihre Hände. Er hat weder Einfluss auf die gestellten Fragen, noch kontrolliert er die Gesamtdauer der Konferenz: Er muss verfügbar bleiben, bis zur letzten Frage.
Ein Vorstandsmitglied eröffnet, leitet und schließt die Konferenz. Er wird über die gesamte Dauer der Sitzung das Wort erteilen, die Reihenfolge der Fragen festlegen und das korrekte Einhalten des Ablaufes überwachen. Dieser letzte Punkt ist grundlegend und gilt für alle: Journalisten sowie Regierungssprecher müssen den aufgestellten Regeln folgen. Kündigt eine Pressevertreterin vor versammelter Sitzung überraschend und ohne Vorlauf ihren Sonderurlaub an, wird sie gleichermaßen dafür gerügt wie ein Journalist, der die Reihenfolge der Befragung während der Konferenz nicht respektiert.
Dieses Verhalten mag auf dem ersten Blick kleinlich erscheinen. Dies sind jedoch nur die peniblen Ausläufer eines elementaren Regelwerks. Dieser Kodex schützt ein grundlegendes Prinzip des Journalismus, das fest in der Charta der Bundespressekonferenz verankert ist: Der Befragte muss zu jeder Zeit den Vertraulichkeitsgrad seiner Äußerungen definieren können. Bei nicht Einhaltung dieser Regel droht Journalisten mehr als ein einfacher Rüffel: Der Ausschluss aus dem Verein und somit die Zutrittsverweigerung zur Konferenz.
Die Grenzen einer Kommunikation im Konsens
Der Verein für Ausländische Presse (VAP) umfasst 400 registrierte Journalisten aus dem Ausland, die gleichermaßen für die Bundespressekonferenz akkreditiert sind. In der französischen Abteilung der internationale Nachrichtenagentur AFP (Agence France Presse) in Berlin wird die Konferenz ausschließlich via Livestream im Internet oder auf dem Fernsehkanal des Vereins der Bundepressekonferenz verfolgt. „Die Kommunikation mit der Regierung vollzieht sich über zwei Kanäle“, erklärt Daniel Aronssohn, Chefredakteur, „die Bundespressekonferenz dient uns dabei eher als unilaterale Informationsquelle. Haben wir Fragen an die Regierung, stellen wir diese nicht innerhalb der Konferenz, sondern richten uns auf persönlichem oder telefonischem Wege an deren Vertreter.“
Georg Streiter sieht in der Bundespressekonferenz ebenfalls ein ausgezeichnetes Instrument, um eine möglichst große Bandbreite an Medien auf einmal zu erreichen ohne sie dabei jeweils einzeln benachrichtigen zu müssen.
Im Sinne einer Presseagentur übernimmt die Institution am Schiffsbauerdamm eine sehr praktische Funktion, da sie allen vorhandenen Medien dieselben Informationen liefert. „Unser Interesse liegt hauptsächlich bei den großen Meldungen von internationaler Dimension“, räumt Daniel Aronssohn ein. Dafür ist die Bundespressekonferenz ein wahrhaft effizientes Werkzeug.
Ein konkurrenzträchtiger Raum
Als urdemokratische Einrichtung hat die Bundespressekonferenz in Europa und in der Welt zweifelsohne eine herausragende Stellung. Der regelmäßige Rollentausch und die symbolische Inversion des Machtgefüges für die Zeit einer Konferenz gleichen einer Verbeugung vor der Demokratie.
Die Raffinessen der Berichterstattung, die Konkurrenz zwischen den Journalisten, die Jagd nach Sensationsmeldungen und Exklusivberichten haben in dem Saal am Schiffsbauerdamm indessen keinen Platz.
Aus Sicht der Regierungssprecher ist ein echtes „off“ (Off the record, die höchste Vertraulichkeitsstufe) schwer zu erreichen, angesichts eines Saales voller Akteure: Zu groß sind die Möglichkeiten undichter Stellen. Die Rahmenbedingungen der Bundespressekonferenz bieten eben nicht die diskrete Atmosphäre eines persönlichen Interviews, wo die Bedingungen eines solchen Gespräches eher eingehalten werden.
Die Journalisten werden sich dagegen mit zu präzise formulierten Fragen zurückhalten, um vor ihrer Konkurrenz so wenig Anhaltspunkte wie möglich zum Thema und zu den Eckpunkten ihres geplanten Artikels Preis zu geben. In Zeiten wachsender Rivalität und Unsicherheit in ihrem Berufsfeld sind viele Journalisten nicht mehr bereit ein solches Risiko einzugehen.
Auch wenn die Bundespressekonferenz einen einfachen und kontinuierlichen Kontakt zwischen Medien und Bundesregierung ermöglicht, deckt sie nur einen kleinen Teil der Kommunikationsarbeit zwischen Medien und Staat ab. Die symbolische Stärke der Bundespressekonferenz ist unleugbar. Die klassische Kommunikation – das Gespräch unter vier Augen – kann sie dennoch nicht ersetzen.