Von: Aimie Bouju
Übersetzung: Karo Breda, Michelle Trimborn
Foto : © Frederic Bisson
Freunde - Feinde, Partner - Gegner: Die Beziehung zwischen Journalisten und Politikern ist zwiespältig zu sein. „Off the record", mit ausgeschaltetem Mikrofon, werden Informationen in absoluter Vertraulichkeit ausgetauscht. Doch was passiert in Deutschland und Frankreich, wenn das Vertrauen gebrochen wird?
„Ich habe Charisma, ich habe eine Aura, einen Einfluss. Ich würde die Regierung in den Schatten stellen.“ Im September 2013 begleitet die für die Wochenzeitung „Le Point“ tätige Journalistin Charlotte Chaffanjon die ehemalige französische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal zu einer Veranstaltung. Während einer Unterhaltung gibt die Präsidentin der Region Poitou-Charentes der Journalistin „off the record“ einige Vertraulichkeiten preis und rechnet mit ihren Kollegen aus der sozialistischen Partei ab. Diese im strengsten Vertrauen erhaltenen Informationen zwischen der Journalistin und der ehemaligen Anwärterin für den Elysée-Palast hätten normalerweise diskret verschwiegen bleiben sollen. Zumindest im Sinne von Ségolène Royal.
Wenige Tage später widmet ihr die genannte Wochenzeitung ein Porträt mit dem Titel „La dame des piques“ (Anm. d. U.: was sowohl mit „Pik-Dame“ als auch mit „Die Lady der Sticheleien“ zu übersetzen ist). Im Artikel werden Zitate aus derselben Unterhaltung zitiert Der Gegenschlag lässt nicht lange auf sich warten. Ségolène Royal streitet die ihr unterstellten Äußerungen kategorisch ab und verurteilt diesen „Pseudo-Exklusivbericht“ als „dürftig“. Ségolène Royal kritisiert dabei weniger den Inhalt als die Form: Sie habe zwar mit der Journalistin eine Unterhaltung geführt. Eine Veröffentlichung dieser Informationen sei jedoch nicht autorisiert gewesen.
Die Journalistin hat also demnach die Regeln der in Journalistenkreisen als „off the record“ bekannten Praxis missachtet, die eine informelle Unterhaltung zwischen Politikern und Journalisten bezeichnet. Diese „undichten Stellen“ ziehen oftmals ein mediales Beben nach sich und bringen betroffene Politiker und Journalisten in Gefahr, im französischen sowie im deutschen Kontext.
Ein Spiel, zwei Regeln.
Die Praxis des „off the record“ ist in vielen Ländern gang und gäbe. Dennoch: Die Spielregeln sind nicht überall die gleichen und variieren je nach geschichtlichem Hintergrund, Medienlandschaft und journalistischen Traditionen.
Es ist wenig überraschend, dass die französischen Journalisten es wesentlich freier mit den Regeln umgehen als ihre Kollegen jenseits des Rheins. In französischen Zeitungen kann man dementsprechend häufiger schwarz auf weiß verfängliche Hintergrundinformationen lesen. Allerdings existieren wesentliche Unterschiede zwischen dem „grenzwertigen Off“ und dem „richtigen Off“, sprich zwischen der Veröffentlichung von Informationen aus einer „regierungsnahen Quelle“ und dem gelüfteten, eigentlich streng vertraulichen Geheimnis. Eine nicht immer eingehaltene Regel könnte folgende sein: Je weniger Journalisten anwesend sind, desto vertraulicher die Information. Dennoch scheint diese Regel gelegentlich flexibel zu sein, wie Charlotte Chaffanjon gezeigt hat.
Die in Deutschland wesentlich strengeren Regeln des „off the record“ finden hierzulande ihre Definition in der Vereinssatzung der Bundespressekonferenz, im Rahmen derer die politische Prominenz Informationen preisgeben kann. Ist ein Gespräch "unter eins“, darf man die Informationen beliebig verwenden,. Wird ein Gespräch „unter zwei“ geführt, dürfen die Informationen ohne Nennung der Quelle publiziert werden. Bei der Formel „unter drei“ unterliegt das Gespräch der strikten Geheimhaltung. Diese Spielregeln sind allen bekannt und sogar die Kanzlerin greift darauf zurück. Für die wirklich vertraulichen Unterhaltungen gibt es dann noch die sogenannten Hintergrundkreise wie zum Beispiel den Berliner Presseclub, der in den 50er Jahren von Journalisten und Politikern ins Leben gerufen wurde.
Gegenüber den deutschen Kollegen könnte man also meinen, französische Journalisten seien nicht vertrauenswürdig und ohne jegliche Garantie für den Schutz ihrer Quellen. Auf den ersten Blick deutet alles auf die Richtigkeit dieser geläufigen Stereotypen hin: Der ungestüme französische Journalist, der nichts für sich behalten kann, im Gegensatz zu seinem deutschen Kollegen, seinerseits rigoros und vernünftig. Doch diese Unterschiede lassen sich einzig und allein auf die Tatsache zurückführen, dass in Deutschland der kleinste Regelverstoß streng geahndet wird.
Warum das Gesetz des Schweigens brechen?
Das Problem dieses „Gentlemen’s Agreement“ besteht darin, dass dieser Pakt auf dem Gesetz des gegenseitigen Vertrauens basiert. Es versteht sich daher von selbst, dass diese Praktik ihre Schwachstellen hat. Denn wie könnte ein Journalist im Angesicht der zunehmenden Konkurrenz der Massenmedien eine „heiße Information“ für sich behalten, nur weil es der gute Wille und die Moral von ihm verlangen? Auch wenn es sich nicht immer um die brisantesten Themen handelt, so lechzt die Öffentlichkeit dennoch nach diesen kleinen reißerischen Stories, die im Leser stets das Gefühl einer politischen Transparenz erwecken. Exklusivität, Aktualität, Konkurrenz – drei handfeste Gründe, um sich nicht an die Regeln des „off the record“ zu halten. Eine bissige Information veröffentlichen und daraufhin exklusiv von anderen Medien zitiert werden: Sowohl unter den französischen, als auch unter den deutschen Kollegen will jeder der erste sein. Wer die Regeln des „unter drei“ missachtet, setzt sich allerdings auch einigen Gefahren aus.
Alles hängt also von dem Risiko ab, das man eingeht. Wenn Charlotte Chaffanjon sich entscheidet, die „Schweigepflicht“ zu brechen, macht sie dies, weil sie dabei wenig riskiert. In Zukunft wird sie sich mit der Flut offizieller Informationen begnügen müssen. Wenn die Journalistin allerdings vertrauliche Äußerungen veröffentlicht, geschieht dies in dem Bewusstsein, dass nicht die Gefahr einer Gefängnisstrafe besteht.
Deutsche Journalisten sind unnachgiebiger, wenn die Vertraulichkeit des „Unter drei“ gebrochen wird. Wenn ein Journalist die Regel nicht genau befolgt, riskiert er nicht nur von den anderen Teilnehmern informeller Gespräche verspottet, sondern auch von seinen Kollegen verurteilt zu werden. Darum ist es in Deutschland seltener, dass Vertrauliches zu den Medien durchsickert.
Ein aktueller Fall betrifft allerdings die Wochenzeitung DER SPIEGEL. In einem Interview forderte ein Journalist den Präsidenten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, auf, zu einer Aussage vom Präsidenten des deutschen Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, Stellung zu beziehen. Voßkuhle hatte sich zuvor in Anwesenheit mehrerer Journalisten streng vertraulich geäußert. Vertrauliche Informationen aus einem informellen Gespräch mit Dritten zu besprechen gilt als unverzeihlicher Fehler. Das Bundespresseamt beschloss daher, die Wochenzeitung zu rügen. In Deutschland weisen also die Journalisten ihre eigenen Kollegen zurecht.
Eine Vertraulichkeit, die schließlich keine war.
Wo stehen also die Politiker? Werden sie systematisch Opfer der von der Aussicht auf Exklusiv-Artikel verführten Journalisten? Nein, denn was Politiker vor allem wollen ist gute Presse. Wenn die veröffentlichten Aussagen zu ihren Gunsten sind, widersetzen sich die Politiker der Veröffentlichung nicht. Das Ausmaß der Konsequenzen für Journalisten hängt also vom Grad der Kritik an den Politikern ab. Hier wird die Scheinheiligkeit dieses Spiels deutlich. Außerdem sind die meisten Politiker, die die Regel des „Unter drei“ in Anspruch nehmen, erfahren und beherrschen die politische Kommunikation seit langem. Wenn der betreffende Politiker also in das Spiel einsteigt, dann nur weil es ihm bestimmte Möglichkeiten eröffnet.
Erinnern wir uns an die Clearstream-Affäre, als der damalige französische Außenminister Dominique de Villepin und der Journalist Franz-Oliver Giesbert zu informellen Abendessen zusammenkamen. Eines Abends berichtet de Villepin seinem Freund von einer Aufstellung von illegalen Konten in Luxemburg, in der sich auch der Name seines bekannten politischen Gegners, Nicolas Sarkozy, zufrieden sei. Giesbert, in der Überzeugung er kenne nun die Affäre des Jahrhunderts, veröffentlicht die vertraulichen Informationen auf der Titelseite seiner Zeitung. Das Ende der Geschichte ist bekannt. Giesbert, gedemütigt, entdeckt schließlich die Wahrheit: de Villepin hat das „Unter drei“ und seine Freundschaft mit dem Journalisten benutzt, um seinen Rivalen mit der Veröffentlichung falscher Informationen zu treffen.
Ein anderes, weniger tragisches Beispiel betrifft Horst Seehofer. Nach einem Interview mit dem ZDF plaudert Seehofer vertraulich mit dem Journalisten Claus Kleber und übt harte Kritik an Norbert Röttgen in Bezug auf die schwere Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen am Sonntag zuvor. Der Journalist neckt den Politiker mit der Aussage, dass die Gespräche abseits der Fernsehaufzeichnungen mitunter interessanter sind als das, was man den Zuschauern zeigt. Seehofer antwortet darauf hin: „Sie können das alles senden!“ Das tat das ZDF und zeigte das vollständige Interview mit dem offiziellen Teil und dem vertraulichen Nachgespräch. Einige Tage später wurde Röttgen von der Kanzlerin aus der Regierung entlassen.
Die Regeln des „Unter drei“ sind also allen bekannt. Journalisten und Politiker müssen zuhören, die anderen Spieler beobachten, ihre Karten und Strategien durchschauen. Auch wenn die Regeln in Deutschland strenger sind, sind sich die Journalisten zu beiden Seiten des Rheins der Risiken, denen sie sich aussetzen, bewusst.
Es gilt also die Möglichkeit, die einem geboten werden, zu überdenken und schließlich immer wieder neu zu entscheiden, ob man die Karten auf den Tisch legen will oder ob man sich diesmal besser zurückhält. Das gilt für Deutschland wie für Frankreich.
Das vollständige Gespräch zwischen Claus Kleber und Horst Seehofer. Beginn des informellen Nachgesprächs ab Minute 05:20.