Von Mareen Ledebur
Lektorat: Susann Hochgräf
Fotos: Volker Roloff
Ein dunkler Raum, Meeresrauschen und Wellenklang, in der Ferne dreht sich ein Leuchtturm, der Wind weht im Haar. Man merkt nicht, dass man in einem Raum der Uferstudios im Berliner Wedding steht, dass sich fester Boden statt Sand unter den eigenen Füßen befindet. Man kann die Augen schließen und ist ans Meer, genauer gesagt an die baskische Atlantikküste versetzt.
Mit ihrer Licht- und Geräuschinstallation „Higer“ war dies genau das Ziel des Kollektivs Artitadetó. Sie und andere zeitgenössische Künstler verwandelten für drei Tage im Dezember 2011 die Uferstudios in ein tiefes Blau. Die atlantische See, das so prägende Element einer Kultur, die sich ihr ständig gegenüber sieht, bildete den thematischen Hintergrund beim „2. Festival baskischer Choreographen in Berlin - Die Basken mit Blick auf den Ozean“.
„Was wusstest du denn über das Baskenland“, Elke Roloff schaut mich fragend an. Die Frage, nach dem „Warum“ eines baskischen Choreographen Festivals in Berlin, beantwortet die Co-Organisatorin mit einer Gegenfrage. Und sie hat Recht, denn das Baskenland verbindet die Allgemeinheit meist mit den drei T’s: Terrorismus, Tourismus und Tradition. Viele denken an die allzu bekannten Anschläge der ETA, an die schwarze und bittere Schokolade aus Bayonne oder an das wellenlastige Surferparadies in Biarritz. Dass man sich mit „Ongi etorri“ im Baskenland begrüßt, weiß jedoch kaum einer.
Es versteckt sich mehr hinter der Gegend, deren Grenzen sich sowohl im nördlichen Spanien, als auch im südlichen Frankreich erstrecken. Und auch die Kunst und Kultur des 21. Jahrhunderts erleben im sogenannten „Euskal Herria“ eine große Vielfalt. Dieser bot das dreitägige Festival in Berlin die Möglichkeit sich zu zeigen. Zeitgenössischer Tanz, Soundperformances und Improvisationen gaben sich die Hand mit Lesungen aus der aktuellen baskischen Literatur.
Elke Roloff ist Deutsche und lebt in Bayonne, wo sie die Künstlerplattform „art and project“ leitet. Erst als sie ins Baskenland kam wurde ihr klar, wie stark Sprache und Kultur der Basken hier vertreten sind, ob in den Schulen oder auf den Straßenschildern.
Mit „art and project“ suchte sie ein Netzwerk von Künstlern, die sich in irgendeiner Art und Weise mit dem Baskenland beschäftigen zu schaffen. Ob französischer, spanischer, italienischer oder auch argentinischer Nationalität, Elke Roloff bringt die Schaffenden durch „art and project“ zusammen, auch wenn sie einfach nur im Baskenland leben und sich nicht direkt mit der baskischen Kultur in ihrer Arbeit beschäftigen. Ihr Ziel ist es, die zeitgenössischen Künstler der Region zu unterstützen und europäische Projekte zu fördern.
Wie wenig differenziert die europäische Außenwelt auf das Baskenland schaut, erfährt Elke Roloff oft bei der Rückkehr in ihre Heimat: „Es kann doch nicht sein, dass jedes Mal wenn ich zurück nach Deutschland komme, nur danach gefragt wird, ob mal wieder eine Bombe gefallen ist!“ Schuld daran ist die ETA, welche nun schon seit den 60er Jahren für ein unabhängiges Baskenland kämpft und vor allem durch ihre Anschläge bekannt geworden ist. Im Oktober des vergangenen Jahres erklärte die Gruppe das definitive Ende ihrer bewaffneten Aktivitäten.
Vielleicht ist das genau der richtige Zeitpunkt in dem Elke Roloff mehr von der Kultur ihrer Wahlheimat, als von Bomben berichten kann.
Auch Mikel Arístegui, Organisator und Ideengeber des Festivals, möchte eine andere Sicht, ohne die üblichen politischen Meinungen, über das Baskenland verbreiten. Der Besuch verschiedener Tanzveranstaltungen im Baskenland brachte den in Berlin lebenden Tänzer und Choreographen 2009 zum ersten Mal dazu, ein Festival im Berliner „Tacheles“ zu organisieren. „Die baskischen Choreographen sind auf demselben Niveau wie die europäischen, aber meist sind sie nicht auf die internationalen Festivals eingeladen, auch nicht in Berlin. Ihre Arbeit muss mehr Anerkennung haben, abseits von der politischen Kultur.“
In der Form eines Festivals sah Arístegui, selber im spanischen Teil des Baskenlandes geboren, die perfekte Gelegenheit der zeitgenössischen Kultur der Basken mehr Aufmerksamkeit auf der europäischen Bühne zu verschaffen und gleichzeitig verschiedene Kleinigkeiten ihrer Lebensart an das Publikum zu vermitteln. Und Berlin als multikulturelle Stadt ist für Arístegui der perfekte Ort, um solch eine europäische Bühne zu kreieren.
Das Fleisch von bester Qualität
Einer der baskischen Choreographen in den länderübergreifenden Scheinwerfern des Festivals im Dezember 2011 war Natxo Montero. Mit seinem Stück „Carni di prima qualità“ brachten er und die Tänzerin Patricia Fuentes, allein dank ihrer Körper, eine klangvolle Akustik in den Saal 4 der Uferstudios.
Abklatschen, aufeinander springen, weg schmeißen, kneifen, gegeneinander rennen – die beiden menschlichen Körper sind geschlechtslos bei Montero, „sie“ und „er“ existieren nicht. Nur die Leiber, die sich gegenseitig auf die Schultern des Andern setzen, den Bauch des anderen betreten, sich umher schmeißen und sich gegeneinander rollen, stehen im Mittelpunkt seiner Choreographie, mit der er 2010 den zweiten Preis im „Certamen Coreográfico de Madrid“ bekam. Das Fleisch von bester Qualität ist der Stoff, mit dem Montero dem Zuschauer zeigt, wie viel Lautstärke, wie viel Klang und wie viel Kraft im Körper steckt.
Auch Mikel Arístegui, welcher schon mit Sasha Waltz zusammengearbeitet hat, präsentierte seine Arbeit auf dem Festival. Sein Stück „Batteleku Batean“, eine Hommage an die Geschichte des Fischfangs und die traditionellen baskischen Fischerboote „Batteleku“, entstand 2010 in einer Aktion mit „art and project“ und wurde zum ersten Mal auf der Straße von Hendaye, in Südfrankreich, gezeigt. Damals begann auch die engere Zusammenarbeit von Mikel Arístegui und Elke Roloff, sowie die Idee das zweite Festival der Choreographen in Berlin gemeinsam zu bestreiten.
„Eigentlich bin ich seit Jahren von Künstlern umgeben. Irgendwann ist mir dann aufgefallen, wie wenig bekannt diese baskischen Künstler waren. Die brauchten Licht“, Elke Roloff grinst. Sie trägt zwei Zöpfe an jedem Abend der Veranstaltungen in den Uferstudios und dreht ständig nach Hallo-Rufen den Kopf zur Begrüßung.
Dieses Licht konnte sie in der Zusammenarbeit mit Mikel schaffen. Die beiden Organisatoren bieten 2011 auch vollkommen Unerfahrenen einen Einblick in die baskische Kultur. Auch die baskischen Institutionen aus Spanien, Instituto Etxepare, und Frankreich, Institut Culturel Basque, arbeiteten 2011 zum ersten Mal außerhalb ihrer Länder an diesem gemeinsamen Projekt.
Der größte Teil des Landes mit der rot-weiß-grünen Flagge befindet sich in Spanien und bildet eine der Autonomen Gemeinschaften des Landes. In Frankreich erstreckt sich das Baskenland von den Pyrenäen über den äußersten Südwesten in den drei historischen Regionen Labourd, Soule und Nieder-Navarrain und ist heute Teil der französischen Region Aquitanien. Die bekanntesten Städte aus dieser Gegend sind Bayonne, Biarritz, Saint-Jean-de-Luz und Hendaye.
Als spanischer Baske sieht Mikel einen Unterschied zwischen der atlantischen Kultur in Frankreich und Spanien: „Kultur und Musik werden von der französischen Regierung ein bisschen mehr unterstützt. Vielleicht auch wegen der politischen Situation. Der Hass auf die Basken ist in Spanien stärker. Das ist mein Gefühl. Die Basken haben mehr Platz in Frankreich. Vielleicht werden sie nicht mehr unterstützt, aber weniger unterdrückt, als in Spanien.“
Insgesamt leben 80 000 Basken in Frankreich. Allein das Französische gilt jedoch als offizielle Amtssprache. Die baskische Sprache, Euskara, eine der ältesten Sprachen Europas, wird von der französischen Regierung als Regionalsprache anerkannt, jedoch rechtlich nicht geschützt.
Ein baskisches Parfümmädchen
Trotzdem existiert auch moderne baskische Literatur am Golf von Biskaya. Zu einer ihrer wichtigsten Autorinnen gehört Itxora Borda, eine Postangestellte aus Bayonne, die die französische Regierung nicht daran hindert, an der Entwicklung der baskischen Sprache zu arbeiten. In ihren Gedichten, Romanen und Artikeln übt Itxora Borda Kritik in literarischer Form. Mit einem satirischen, oft scharfen Blick betrachtet sie in ihrem Werk die baskische Gesellschaft. 2002 erhielt sie für ihre Karikatur der baskischen Tradition im Roman „% 100 basque“ den Prix Euskadi.
Itxora Borda schreibt in ihrer Muttersprache. Ihre ersten Gedichte entstanden schon im Alter von 14 Jahren. In ihren Detektivromanen, mit Schauplätzen wie Hessen, ist es Amaia Ezpeldoi, welche ihre oft sarkastische Meinung zu aktuellen baskischen Themen gibt.
Auch die deutsche Sprache beherrscht die Autorin aus dem Baskenland. Leider konnte sie dies beim 2. Festival für Choreographen nicht unter Beweis stellen. Anstatt ihrer lasen Eneko Gil und Constanze Lindemann in der Übersetzung aus ihrer Gedichtreihe „Ogella Line“, in der sich Titel wie „Auf der Suche nach dir“ oder „Patchuli Parfümmädchen“ aneinanderreihen.
„Ich musste lernen in dieser Landschaft, die deine ist, allein durch die Felsen zu laufen“, schreibt Itxora Borda. Als „Ogellas“ bezeichnet man im baskischen die kleinen Buchten, die sich an der spanischen und französischen Küste entlang erstrecken. Itxora Borda bereiste diese Linie nach dem Ende einer Liebesgeschichte. Die Gedichte sind eine Art Hommage.
Zum ersten Mal wurden sie 2008 als improvisierte Performance gezeigt. Zum Festival der baskischen Choreographen in Berlin improvisierten mit Sound und Performance der Franzose Laurentx Etchemendi und die Tänzerin Noemí Viana zu Gedichtzeilen wie: „Nachts sind alle Meere wie alle Katzen schwarz“.
Noemí Viana glitt durch die Zuhörer hindurch, lauschte selber den Lesenden und ließ die zerrissenen Papierfetzen mit den Gedichten Bordas durch den Raum fliegen. Wie die Worte wirbelte auch Viana, streifte entlang der Buchten, war beklemmend allein, befreite sich vom engen Mantel und verschwand, von den Worten der Vortragenden verschlungen im Dunkel.
Edorta Jiménez las aus seinem Buch und historischem Roman „Die Stimme der Wale“ vor. Der im spanischen Bizkaia geborene Literat hat schon Kindergeschichten, Romane, Gedichte und Reportagen veröffentlicht. Zu seinem Werk über die Zeit der spanischen Armada und das Baskenland des 16. Jahrhunderts, welches er selber als Thriller bezeichnet, wurde ebenfalls zeitgenössisch improvisiert. Die Choreographin und Biologin Idoia Zabaleta zerschnitt den Bodenbelag, kroch unter ihm hindurch und tanzte sich eine zweite Haut vom Leib, während Jiménez die Geschichte Sebastians und seines ersten Walfangs vortrug. Zabaleta verbildlichte die Schmerzen des kleinen Wals, der versuchte zu fliehen, der versuchte sich vor den scharfen Spitzen zu schützen. „Mir ist schon viel mit meinem Buch passiert. Aber so etwas wie heute noch nicht“, erstaunte Jiménez selber, nach der improvisierten Performance.
Solche unerwarteten Momente wünschen sich die Organisatoren auch für das kommende Festival. Geplant ist es in zwei Jahren. Und so wie Itxaro Borda in ihren Gedichten schreibt - „bin ich nach langen Stunden der Wanderung vielleicht realer“ - hat dabei auch die zeitgenössische, baskische Kunst die Möglichkeit, mehr Realität und Aktualität im europäischen Erleben zu teilen.