Par Tsvetelina Manova
Übersetzung: Hanna Gieffers
Bild: Tsvetelina Manova
Von links nach rechts : Kahina Albanchaabouchi und Yasmina D. Aidi. Das Foto wurde aufgenommen während des Festivals Emergeandsee 2011 in der Alten Bötzow Brauerei in Berlin, am 3. Juni 2011.
Ein junger Mann um die dreißig betritt eine Bar, geht zum Tresen, zieht einen Stuhl zu sich und nimmt Platz. Seine langsamen und quälenden Bewegungen verraten, dass er körperliche Schmerzen hat, sein Blick ist der eines verzweifelten Mannes. Der Barmann, fein gekleidet, um die fünfzig, mit leicht ergrautem Haar und gut rasiertem Bart, schaut den Unbekannten von Kopf bis Fuß mit einem dunklen und stechenden Blick an, bevor er ihn anspricht:
„Guten Abend der Herr. Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“
„Ja, gerne. Einen starken Drink. Einen sehr starken.“
„Einen Bloody Mary vielleicht …?“
Beim Hören des Wortes schreckt der Gast auf.
„Entschuldigung?“
Ein leichtes Lächeln huscht über das Gesicht des Barmanns, als ob er sich über die Reaktion des Gastes amüsiert.
„Hat Ihnen eine Frau das Herz gebrochen ?“
„Woher wissen Sie das?!“, wundert sich überrascht der junge Mann.
„Nichts leichter als das. Ihre Seufzer…“
„Meine Seufzer?“
„Ja, Seufzer können immer einen verlassenen Liebhaber verraten.“
Mit dieser packenden Szene fängt der Film „Bloody Mary“ an, einer der 22 wunderbaren zeitgenössischen Kurzfilme, die beim 5. Internationalen Filmfestival Emergeandsee in Berlin am ersten Juniwochenende 2011 gezeigt wurden. Dieses Jahr fand das Festival in der Alten Bötzow Brauerei statt (242-246 Prenzlauer Allee). Dort haben sich Künstler aus der ganzen Welt um das inspirierende Motto „Im Detail“ zusammengefunden, um Kinokunst zu feiern.
„Bloody Mary“ ist der erste Kurzfilm von Yasmina d’Aidi und Kahina Albanchaabuchi, 23 und 22 Jahre alt, die eine Studentin in Englischer Literatur an der Universität Complutense in Madrid, die Andere Studentin der Wirtschaftswissenschaften in Barcelona. Yasmina und Kahina kommen beide aus der Stadt Tanger in Marokko. Die beiden jungen Regisseurinnen haben bis jetzt wenig Erfahrung in der weiten Welt der Filmkunst, trotzdem brilliert ihr Film „Bloody Mary“ mit Hingabe und beeindruckender Professionalität, was von Filmkritikern bestimmt nicht unbeachtet bleiben wird!
In diesem Juni haben die beiden jungen Frauen zum allerersten Mal am Festival Emergeandsee teilgenommen. Für sie sei es eine wunderbare Gelegenheit, die deutsche Hauptstadt kennen zu lernen und eine schöne Zeit mit anderen jungen Künstlern zu verbringen, die durch die gleiche glühende Leidenschaft verbunden sind, die der aus Italien stammende Drehbuchautor und Romanautor Ricciotto Canudo im Jahr 1919 als „siebte Kunst“ bezeichnet hat.
Das Festival, welches im Jahr 2000 aus einer Studentenidee entstanden ist, hat sich zu einem richtigen „Media Arts Festival“ im Jahr 2010 gewandelt, das sich weiterhin dem Ziel verschrieben hat, Kurzfilmkunst zu verbreiten, indem es das Interesse und die Kreativität verschiedener Künstler wie Schriftsteller, Szenaristen, Filmmacher etc. weckt…. Dieses Jahr haben sich die Künstler verschrieben, „kleine, meist als unwichtig in unserer alltäglichen Betrachtung erscheinenden Elemente zu zeigen und zu entdecken, was sich hinter dem Alltäglichen versteckt, um es endlich vor dem zu stellen, was als selbstverständlich erscheint.“ Während drei Tage (vom Abend des 3. Juni bis zum Nachmittag des 5. Juni 2011) wurde das Thema des Details auf verschiedene Art und Weise aufgegriffen: durch eine Ausstellung künstlerischer Werke, durch Kurzfilmvorführungen, durch mehrere öffentliche Konferenzen, durch Diskussionsrunden und einen regen Austausch.
„Bloody Mary“ war der neunte der 22 Kurzfilme, welche am Samstag den 4. Juni 2011 zwischen 18 und 23 Uhr gezeigt wurden. Schnell und intrigant, mit einer Länge von neun Minuten und sieben Sekunden ist der spannende Film komplett in schwarz-weiß gedreht…. Mit Ausnahme einiger kleinen „Details“, die unabdingbar für das Verständnis der Szenen sind: eine nur leicht sichtbare Spur von Lippenstift auf dem Kragen eines Hemdes, die leuchtend roten Lippen einer Frau, die für immer geht… und ein mysteriöser blutroter Cocktail… Voice off, Unklarheit, schnelle Handlungsabfolgen, Spannung… Oder, wie es die Beschreibung des Films im Programmheft des Emergeandsee benennt: ein „klassischer schwarz-weiß Film“. Ein Film mit den Schauspielern Kahina Albanchaabouchi, Juan González Etxeberría und Antonio Montesinos.
Das Drehbuch des Films basiert auf dem Theaterstück „Sherlock Barman“, ein Werk, welches aus der surrealistischen und dadaistischen Theaterströmung kommt. Geschrieben vom italienischen Schriftsteller, Dichter und Journalisten Steffano Benni, ist dieses Stück zum ersten Mal im Jahr 1999 als Buch mit dem Titel „Teatro“ (im Verlag „Feltrinelli“) erschienen.
Wenn man all die kleinen Details über das künstlerische Konzept und die Realisation des Films kennt, drängt sich die Frage auf, wie die zwei jungen marokkanischen Studentinnen auf die Idee gekommen sind, sich der wunderbaren Welt des Films zu verschreiben. Ist die Idee diesen Film zu machen sozusagen „spontan“ entstanden, oder war der Dreh lange vorbereitet und bis ins kleinste Detail geplant und überdacht? Ich stelle meine Frage zuerst an Yasmina, die sofort in einembestimmten Tonfall antwortet:
Es war keine spontane Entscheidung, nein…. Die Idee einen Film zu drehen ist vor ungefähr vier Jahren entstanden, während eines Philosophiekurses. Mit kleinen Schritten haben wir angefangen, die Idee zu entwickeln, besonders mit der Hilfe meines Professors Antonio Monesinos, der uns viel unterstützt hat bei der Realisation des Projektes.
In der Broschüre des Festivals Emergeandsee liest man, dass der Film die Geschichte eines Barmanns erzählt „der alles über seinen Gast am Tresen zu wissen scheint (…)“. Ein klassischer Schwarzweißfilm. Was macht „Bloody Mary“ eigentlich zu einem solchen Film? Wann und wie habt ihr entschieden, das Theaterstück „Sherlock Barman“ in einen Schwarzweißfilm zu umzuwandeln?
Es ist schwer zu sagen, in welchem Moment wir uns entschieden haben, dass « Bloody Mary » ein Schwarzweißfilm wird. Dieses Genre kam uns ganz einfach im Vergleich zu anderen Genres origineller vor, da es so intensiv, so mitreißend und suggestiv ist… Wir mochten die Idee der Spannung, der Überraschung, der Präsenz der „femme fatale“, der Unsicherheit, des unerwarteten Endes, was ja alles typische Charakteristika dieses Filmgenres sind. Und wir denken, dass der Film auch den Zuschauern gefallen wird.
Wer hat das Drehbuch des Films geschrieben?
Wir beide. Wir haben zusammen gearbeitet.
Und wie habt ihr vom Festival Emergeandsee erfahren?
Yasmina : Das Festival habe ich gefunden. Das Programm des Festivals war auf der Internetseite „Without a box“ veröffentlicht, eine Seite über Kinofestivals und Wettbewerbe für Drehbuchautoren. Die Idee des Festivals fand ich interessant, ich habe Kahina darüber erzählt und wir haben sofort entschieden mitzumachen. Wir haben die Organisatoren der Festivals kontaktiert und kurze Zeit später haben sie geantwortet, dass unser Projekt angenommen wurde.
Soweit ich weiß, war dies nicht die Premiere von „Bloody Mary“… Der Film wurde schon auf anderen Kurzfilmfestivals gezeigt, oder?
Ja, in der Tat. Er wurde dieses Jahr schon im März auf dem Festival „Miami Women’s International Film Festival“ und auf dem „Barcelona Certamen Internacional de Cortometrajes la Manigua „ im Mai gezeigt. Außerdem wurde er Ende Juni in Paris gezeigt und wird etwas später in Marokko und Portugal ausgestrahlt.
Es ist das erste Mal, dass ihr beim Festival Emergeansee teilnehmt. Was ist euer genereller Eindruck über die Organisation des Festivals, über euren Besuch in Berlin…? Möchtet ihr wieder teilnehmen, vielleicht sogar am Festival im nächsten Jahr?
Aber natürlich, sehr gerne! Es ist immer schön, bei solchen Ereignissen dabei zu sein. Wir haben die Möglichkeit, interessante Kontakte zu schließen, andere junge Leute kennen zu lernen, die die gleichen Interessen, die gleichen Träume haben. Außerdem ist es eine tolle Möglichkeit, ein Wochenende in Berlin zu verbringen, eine Stadtführung zu machen, mit Leuten in Kontakt zu kommen…
„Bloody Mary“ ist euer erster Kurzfilm. Gerade für einen ersten Film ist er sehr beeindruckend. Ich bin gespannt zu erfahren, ob ihr plant, aus eurer Leidenschaft für den Film einen Beruf zu machen, ob ihr in dem Bereich auch in der Zukunft arbeiten möchtet?
Kahina : Absolut, ja. „Bloody Mary“ war ein sehr guter Anfang, wir sind natürlich sehr stolz darauf… Aber für uns ist es eben erst der Anfang… Aber es ist klar, dass es nicht bei diesem einen Film bleiben wird…
Ich danke euch für das Interview und wünsche euch viel Erfolg für eure zukünftigen Filme und weiteren Projekte und hoffe, dass wir uns im nächsten Jahr in Berlin oder bei einem anderen großen internationalen Filmfestival wiedersehen.
Ausschnitte aus dem Film « Bloody Mary »
Für diejenigen, die den Film gerne sehen möchten, er ist kostenlos in "Streaming" verfügbar: