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Hinter den Kulissen von ARTE: 16 Fragen an Irene Selle |
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Von Birte Wenzel
Porträtfoto: Stephanie Gagel, ARTE
ARTE-Logo Quelle: Pressestelle von ARTE
Irene Selle (* 1947), Tochter des deutschen Philosophen, Philologen und Übersetzers Rudolf Schottlaender (1900-1988), war seit 1992 als Konferenzdolmetscherin und Übersetzerin beim Europäischen Kulturkanal ARTE in Straßburg tätig. Sie arbeitet seit September 2012 als Freiberuflerin in Berlin.
1) Liebe Frau Selle, könnten Sie uns etwas zu Ihrer Person erzählen?
Ich wurde am 07.07.1947 in Berlin-Reinickendorf geboren. Von 1958 bis 1961 besuchte ich das Französische Gymnasium in Berlin-Wedding, wo der Grundstein für meine spätere Studien- und Berufswahl gelegt wurde. (Leider war ich gezwungen, die Schule zu wechseln, da mein Vater 1961, nach dem Bau der Berliner Mauer, aus beruflichen Gründen den Familienwohnsitz vom West- in den Ostteil der Stadt, in dem er seit 1959 arbeitete, verlegen musste.) Von 1961 bis 1965 besuchte ich die Erweiterte Oberschule in Berlin-Friedrichshagen. Nach dem Abitur studierte ich von 1965 bis 1974 an der Humboldt-Universität Berlin Philologie (Französisch/Russisch/Spanisch). Während des Forschungsstudiums (1970-1974) schrieb ich meine Doktorarbeit in Französischer Literaturwissenschaft (Promotion: 1975). Von 1974 bis 1992 war ich als Romanistin in der literaturgeschichtlichen Forschung beschäftigt, veröffentlichte neben wissenschaftlichen Arbeiten aber auch Übersetzungen von Lyrik sowie belletristischer und essayistischer Prosa aus dem Französischen (Léopold Sédar Senghor u.a.). 1987 erschien die von mir herausgegebene und umfangreich kommentierte Anthologie „Frankreich meines Herzens. Die Résistance in Gedicht und Essay“ mit vielen Erstübersetzungen. 1992 wurde die Neuübersetzung von Simone de Beauvoirs Grundlagenwerk der modernen Frauenbewegung, „Das andere Geschlecht“, veröffentlicht, für die mich der Rowohlt-Verlag mit der Revision betraut hatte. Mit dem Dolmetschen begann ich schon in der Schulzeit. Ich intensivierte es während des Studiums und betrieb es danach neben meiner Arbeit am Forschungsinstitut weiter. Da ich an der Universität den Diplom-, nicht aber den Dolmetscherstudiengang absolviert hatte, eignete ich mir die Techniken des Konsekutiv- und Simultandolmetschens in der Praxis und durch Kurse an. Ich spielte in zwei Theatergruppen der Humboldt-Universität mit, darunter im Studentenensemble des Romanischen Instituts. Dort wurden die Stücke, bei denen ich teilweise auch Regie führte, in französischer Sprache aufgeführt. In der DDR-Zeit brachte ich meine Fachkompetenz oft in regimekritischen Zusammenhängen ein, insbesondere mit Vorträgen und Diskussionen im Rahmen der Evangelischen Akademie, die eine Plattform für oppositionelles Denken bot. Als Dolmetscherin war ich häufig für das Französische Kulturzentrum in Berlin (Unter den Linden) tätig, das ebenfalls einen gewissen politischen Freiraum genoss.
2) Könnten Sie Ihren beruflichen Werdegang skizzieren? Was haben Sie vor Ihrer Tätigkeit bei ARTE gemacht? Seit wann dolmetschen und übersetzen Sie beim Europäischen Kulturkanal?
Vor meiner Arbeit als Konferenzdolmetscherin und Übersetzerin bei ARTE (in Vollzeit, seit 06.01.1992) war ich Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin. Mein Forschungsschwerpunkt war die Französische Literatur und Kultur des 20. Jahrhunderts (Surrealismus, Résistance, Genderforschung u.a.). Im Wintersemester 1991-92 hatte ich außerdem einen Lehrauftrag am Institut für Romanische Literaturwissenschaft der Technischen Universität Berlin unter Leitung von Prof. Michael Nerlich zu meinem Forschungsthema „Le deuxième sexe“ von Simone de Beauvoir. Die Forschungs- und Lehrtätigkeit habe ich, in geringerem Umfang, auch nach meiner Anstellung bei ARTE fortgesetzt. Als Gastdozentin hielt ich u. a. Seminare zu Marcel Proust und Simone de Beauvoir an der Straßburger „Université Marc Bloch“ (postgradualer Master-Studiengang „Literarisches Übersetzen“).