Von Alexandre Martin (mit der Hilfe von Birte Wenzel). Website : www.interviewsport.fr
Fotos: Jean-François Jeanson
Donnerstag, 26. Mai 2011. Im Finale der UEFA Women’s Champions League gewinnt die französische Mannschaft aus Lyon mit 2 zu 0 gegen den Titelverteidiger 1. FFC Turbine Potsdam. Damit gelingt den Spielerinnen von Olympique Lyonnais erfolgreich die Revanche für das verlorene Finale im Vorjahr. Für die Fußballerinnen von Lyon ist es ein historisches Moment, denn sie gewinnen die erste Champions League in der Geschichte des französischen Frauenfußballs und beenden in einem glanzvollen Wettkampf die Erfolgsserie der deutschen Mannschaften.
Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass die Niederlage der Potsdamer Mannschaft die Stimmung der FIFA Frauen-WM negativ beeinflusst, welche vom 26. Juni bis 17. Juli in Deutschland stattfinden wird und bei der sechszehn Mannschaften um den Titel kämpfen werden. Es wird bestimmt ein schönes Fest, weil Deutschland die letzten beiden Weltmeisterschaften gewonnen hat und nunmehr die Gelegenheit hat, die Erfolgsserie fortzusetzen. Die Fans scheinen sich jedenfalls schon jetzt auf das Großereignis zu freuen: Ende Mai wurden ungefähr 70 Prozent der Tickets verkauft, das heißt mehr als 620 000!
In Deutschland und den Vereinigten Staaten hat sich der Frauenfußball erstaunlich entwickelt. Birgit Prinz, Inka Grings, Nadine Angerer und Linda Bresonik sind nämlich nur einige bekannte Namen, die mit dem deutschen Frauenfußball in Verbindung gebracht werden. Zudem kommen regelmäßig zahlreiche Zuschauer in die Stadien, um die Nationalmannschaft zu sehen: Mehr als 12 Millionen Zuschauer haben im Jahr 2003 das WM-Finale gesehen. Aber der Erfolg des deutschen Frauenfußballs ist vor allem der Politik des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) zu verdanken. Dieser unterstützt die Entwicklung des Frauenfußballs und sorgt dafür, dass es stets zahlreiche Lizenzspielerinnen gibt. Im Jahre 2009 waren es 1 022 824. Der Konkurrenzdruck ist folglich extrem und führt dazu, dass jedes Jahr neue Stars entdeckt werden.
In Frankreich ist die Situation anders. Heute gibt es nur 55 500 Lizenzspielerinnen. Die Mannschaft aus Lyon ist zwar Europameister, aber alle anderen Frauenfußballmannschaften haben große Schwierigkeiten, sich zu entwickeln: In der vergangenen Saison besiegten die Fußballerinnen aus Lyon alle anderen französischen Mannschaften (106 Tore und 6 Gegentore in 22 Meisterschaftsspielen). Der Grund liegt auf der Hand: Die anderen Vereine haben nur wenig Geld zur Verfügung und sind überwiegend Amateurvereine. Die Spielerinnen müssen einen Arbeitsplatz finden und am Abend trainieren: Sandrine Soubeyrand ist zum Beispiel Kapitänin der Bleues und Angestellte im Rathaus der Stadt Juvisy. Darüber hinaus ist der Fanandrang in den Stadien sehr gering: Selbst die Spiele der vier stärksten Mannschaften (Lyon, Paris Saint-Germain, Montpellier und Juvisy) locken selten mehr als 300 Zuschauer an. Der Fußballklub aus Lyon stellt also mit seinen 20 Profifußballerinnen, die zwei Stunden pro Tag trainieren können und über Physiotherapeuten und Ärzte verfügen, eine Ausnahme dar.
Die FFF (Fédération Française de Football) ist sich des Problems bewusst und versucht, Lösungen zu finden. Sie will die Profi-Fußballvereine dazu ermuntern, eine eigene Abteilung für den Frauenfußball zu entwickeln. Doch das wird viel Zeit in Anspruch nehmen, denn in der letzten Saison gab es nur sechs solcher Vereine.
Der deutsche Frauenfußball kann für Frankreich als Vorbild dienen. Camille Abily, eine der besten Spielerinnen der französischen Nationalmannschaft, erklärt uns: „Ich denke, dass der Unterschied zwischen beiden Ländern vor allem in der Mentalität und der Kultur besteht. In Deutschland ist eine Kultur vorhanden, in der der Sport schon für die Jüngsten äußerst wichtig ist. Frankreich ist dagegen ein südländisches Land, wo der Frauensport allgemein Schwierigkeiten hat, sich zu entwickeln.“
In Frankreich warten auf den Frauenfußball noch mehrere Herausforderungen. Die Anzahl der wettbewerbsfähigen Mannschaften müsste deutlich erhöht werden, damit die Meisterschaft spannender und für die Sponsoren interessanter wird. Während Deutschland große Sponsoren für den Frauenfußball gewinnen konnte, zum Beispiel die Commerzbank, hat Frankreich noch Mühe, solche Sponsoren zu gewinnen. Zudem könnte ein höheres Niveau verhindern, dass Lyon die einzige französische Mannschaft bleibt, die die Möglichkeit hat, auf europäischer Ebene erfolgreich zu sein. In Deutschland kann die Champions League sowohl von der Mannschaft aus Potsdam als auch von der aus Frankfurt am Main gewonnen werden. Auch die Medien spielen eine bedeutende Rolle. So betont Camille Abily, die die Nummer 10 auf ihrem Trikot trägt: „Meiner Meinung nach müssen mehr Spiele übertragen werden, damit wir noch bekannter werden. Zu wenige Menschen wissen, dass es eine französische Nationalmannschaft im Frauenfußball gibt.“ In Frankreich wird die Weltmeisterschaft nämlich nur von Eurosport übertragen, das heißt einem kostenpflichtigen Fernsehsender. In Deutschland hingegen wird die Champions League von der ARD und dem ZDF übertragen. Abily bleibt jedoch optimistisch und schlägt vor: „Die FFF könnte uns helfen, indem sie Werbekampagnen startet, in denen Fußballer und Fußballerinnen gleichermaßen vorkommen, und indem sie vor dem Auftaktspiel der männlichen Nationalmannschaft ein Spiel der Nationalspielerinnen zeigt“.
Ab dem 26. Juni werden Frankreich und Deutschland versuchen, im Wettkampf zu glänzen. Und wie der Zufall so will, werden beide Mannschaften in derselben Gruppe sein und am 5. Juli gegeneinander spielen. Das ist die perfekte Gelegenheit, um spannenden Fußball zu erleben.
Wir bedanken uns bei Camille Abily für die uns zur Verfügung gestellte Zeit.
Verfasser: Alexandre MARTIN (mit der Hilfe von Birte WENZEL). Website : www.interviewsport.fr
Fotos: Jean-François JEANSON